4.07.2010

Weltmacht China

Tages Anzeiger, March 29, 2010

Der chinesische Autohersteller Geely kauft die europäische Traditionsmarke Volvo. Das ist nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch des Selbstvertrauens. Die Macht verschiebt sich nach Osten.
Chinesische Macht: Geely-Chef Li Shufu und Stadt Shanghai.

In der Autoindustrie herrschen grosse Überkapazitäten. Die Wirtschaftskrise hat die Konsumenten verunsichert, der Klimawandel erfordert neue Antriebssysteme. Kluge Manager sind daher vorsichtig, versuchen die Kosten im Griff zu halten und warten ab. Li Shufu, Haupteigner des jungen Autoherstellers Geely, ist alles andere als klug: Er hat gerade mal 1,8 Milliarden Dollar für den Kauf von Volvo auf den Tisch geblättert, das meiste davon bar. Shufu hat nicht nur europäische Spitzentechnologie eingekauft, sondern auch ein Unternehmen, das doppelt so gross ist wie das eigene. Woher nimmt der Mann das Selbstvertrauen?

Li Shufu ist 47 Jahre alt, stolz auf seine ländliche Herkunft. Bei seinen Landsleuten ist er äusserst beliebt. Er kennt keinerlei Furcht. Bill Russo, einst Chef von Chrysler China, beschreibt ihn in der «Financial Times» wie folgt: «Li ist der Typ, der sagt ‹Warum nicht?›, wenn die ganze Welt sich fragt ‹Warum?›. «Er verkörpert eine Selbstüberzeugung, wie sie heute typisch ist für China - und wie sie typisch war für den Westen vor 100 Jahren.»

Symbol von starker Bedeutung

Der Verkauf von Volvo an Geely ist nicht einfach ein weiterer Deal. Er hat eine stark symbolische Bedeutung: Europa verwaltet die Vergangenheit, westliche Traditionsunternehmen werden in den Osten verscherbelt. Die Asiaten glauben an die Zukunft, speziell die Chinesen strotzen vor Selbstvertrauen. Und warum sollten sie nicht? «China ist das Wirtschaftswunder des 21. Jahrhunderts», sagt Martin Jacques, Autor des hoch gelobten Buches «When China Rules the World».

Die chinesische Wirtschaft wächst seit Jahrzehnten jährlich im Durchschnitt etwa zehn Prozent. Das bedeutet, dass sich das Bruttoinlandprodukt (BIP) etwa alle sieben Jahre verdoppelt. Männer wie Li Shufu haben selbst erlebt, was das bedeutet. Er hat mit 100 Renminbi Startkapital begonnen und zuerst Touristen fotografiert. Dann hat er ein Fotostudio gegründet, dann eine kleine Fabrik für Kühlschränke, bis er über den Umweg von Motorrädern zur Produktion von Autos gekommen ist. Heute ist Geely der grösste chinesische Autobauer mit noch viel grösseren Ambitionen. An einer Präsentation Zukunftspläne liess Shufu 42 Modelle zeigen, die er einst herstellen will. Die Palette reicht vom Kleinwagen bis hin zum «Baby Rolls Royce».

Keine Angst vor Konfrontation

Das neue Selbstvertrauen Chinas zeigt sich auch auf der politischen Bühne. Lange hat Peking nach der Devise von Deng Xioaping gehandelt, den Ball flach zu halten und niemals die Führung zu übernehmen. Das beginnt sich zu ändern. China scheut die Konfrontation nicht mehr. So hat Premierminister Wen Jiabao die Forderung der USA nach einer Aufwertung der Währung genauso kühl abblitzen lassen, wie die Forderung von Google nach Abschaffung der Zensur.

China scheint bisher auch die Wirtschaftskrise am besten zu bewältigen. Das lässt auch das Wirtschaftsmodell in einem neuen Licht erscheinen. Für Entwicklungsländer wird der chinesische Staatskapitalismus zu einer attraktiven Alternative zum westlichen Kapitalismus. Und der Kauf von Volvo durch Geely bestätigt einmal mehr: Im 21. Jahrhundert verschiebt sich die Macht nach Osten.(Tagesanzeiger.ch/Newsnetz)
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